Orte von denen ich schreibe

geschrieben für das Literaturhaus Köln 2002

Osten, für mich, ist ein Prinzip und kein Staat. Eine Himmelsrichtung, in der Ideen schwerer wiegen als Dinge. Aus der ich Fragen und Probleme ziehe, die ich für die Gegenwart diskutieren will. Letztere ist überfüllt mit Dingen und Materie, die über die Ideen herrschen. Deshalb nehme ich sie auch wahr als einen verstellten Ort, in dem es nahezu unmöglich ist, visionär zu denken. Ich suche statt dessen die kargen, spröden Gegenden, die noch nicht vollständig mit Bildern besetzt sind, an denen zwischen den Linien noch viel Raum hervortritt. Delta, Boulevard Lipscani, Cinema Aurora, das Oderhaff. Auch meine Vergangenheit ist eine solche Gegend. Sie dient mir, gerade weil sie sich in einem für mich unvollendeten Rahmen vollzogen hat (die Geschichte war schneller als ich ihn hätte schließen können), als Spiel- und Gedankenmaterial. Dabei kann ich unbefangen in diese Himmelsrichtung schauen, weil sie für meine Biographie nichts Negatives bedeutet. Sie verweist mich statt dessen auf Ideen, deren versuchte Verwirklichung durch konkrete Staatengebilde nur der geringste Punkt ist.

Da der politische Umbruch 89 zeitgleich stattfand mit einem ersten Lebensumbruch meiner Generation, der Pubertät, ist es unmöglich zu sagen, welche Entscheidungen und Entwicklungen auf welche der beiden Wenden zu schieben sind. Wir gerieten in ein Vakuum. Zum damaligen Geschichtsmoment waren wir weder bereits ideologiemüde, noch hatten wir schon eine felsenfeste Überzeugung davon, in welches Lager genau wir gehören wollten. Die Zeit hätte uns diese Entscheidung abgezwungen. Bevor wir uns aber selbst positionieren konnten, für oder gegen etwas, hatte man den Kampf bereits abgeblasen. Zurückgeblieben ist eine Un-Position, eine Un-Zeit, ein Zeitlimbus. Unsere Reaktionen und Taten sind potentielle geblieben.

Wenn ich in diese Himmelsrichtung schaue, fallen mir Assoziationen, auch Elemente einer utopischen Absicht ein, die ich für das Schreiben brauche. Farblose, rauhe Flächen regen nun einmal die Phantasie an. Diese Abwesenheit von Buntheit und Bildern ist eine Unterbrechung. Sie wird seltener. An ihr erkenne ich das Verschwinden, das Diskontinuierliche, das was leicht übersehen wird. Nur bruch- und reibungsloses Denken illusioniert sich eine banale Gegenwart. Diese spärlich besetzten Orte sind keine gemütliche Bleibe, aber sie eignen sich, um einen Hochsitz auf ihnen zu errichten. Von ihm aus kann ich einen fremden Blick auf die Gesellschaft und ihre endlose Betriebsamkeit werfen. Kann vergleichen. Wesentlich ist ihnen auch, daß sie eine Geschichte besitzen, die über die Jetzt-Zeit einer turbulenten Geschäftigkeit hinausreicht als ein gedanklicher Raum. Doch während ich mich in ihnen bewege, merke ich, wie sie schon wieder an ihrer eigenen Zeitbeschneidung arbeiten. Auch diese Räume werden enger.