Nach dem ersten Kind sagtest du, findest du nicht, wir jammern auf hohem Niveau, wie wär’s mit einem zweiten.
Nachts, wenn eines der Kinder schrie, wechselten wir stumm die Betten, jeder seine Zudecke überm Arm. Anfangs zählten wir die Schlafstunden noch, dann machten wir einfach übermüdet weiter.
Die Jahre gingen so hin. Wir redeten weniger miteinander.
Die Küsse wurden ein Akt des guten Willens. Jeder für sich, saßen wir nachts unter einer Lampe und warteten darauf, dass sie vorüber gehen würde, diese Zeit. Das Leben ist keine U-Haft, sagtest du und verschwandest für ein paar Wochen.
Als du das erste Mal fortgingst, schicktest du mir per Post ein Bild, auf dem du dich in einem Dornengestrüpp verewigt hattest. Ich sendete dir ein Foto, auf dem wir beide unter einem Jasminstrauch saßen, war beim Abschicken aber in Gedanken bei einem anderen Mann.
Zu der Zeit wollte ich oft, dass es endlich Abend wurde. Ich bin immer leicht eingeschlafen, sogar wenn du nicht da warst.
Dann warst du wieder da. Für eine Weile verlegten wir das Wegsein in unser Inneres. Man muss nur eine vernünftige Art finden, sagtest du. Wir kümmerten uns um Laufräder, Drachen, Ostereier, Schlauchboote, Fußbälle, Klarinette und Schlagzeug, kauften Schulranzen und Telefone. Aus Rücksicht auf die Kinder behandelten wir uns vorsichtig.
Als es bei uns wie bei den meisten mit dem Geld bergab ging, beglückwünschten wir uns, kein Haus gebaut zu haben. Dann ging es wieder bergauf, aber wir bauten trotzdem keins.
Wir lachten immer noch über die Späße des anderen. Für Wochen half das.
Wie um unseren Pakt nicht zu brechen, schlichen wir uns immer öfter insgeheim weg, jeder in eine andere Richtung. Lange vor uns merkten es die Kinder, wenn einer von uns beiden wieder mal ging. Der Junge klammerte sich dann jedes Mal an mich. Die Kleine sammelte ihre Sachen zusammen und verließ unter stummem Protest das Zimmer.
In der Fremde hatte ich jedes Mal das Gefühl, ich müsse dir den EINEN Brief schreiben, in dem alles uns Betreffende stünde, schrieb diesen Brief dann aber regelmäßig an jemand anderes.
Schließlich saßen wir wieder in einem Restaurant beieinander und redeten über den Zerfall des amerikanischen Imperiums, auch darüber, dass Europa wieder in seine Einzelteile zerfallen war. Wo jeder von uns im Moment herkam und mit wem wir die Zeit verbracht hatten, sparten wir aus in unseren Gesprächen. Unsere Hände lagen aus Gewohnheit übereinander, was wir beide schön fanden. Man muss sich erinnern können, sagtest du. Darauf stießen wir an. Die Kinder schrieben Nachrichten übers Telefon. Es tat uns nicht leid, dass wir nie im Ganges gebadet hatten, auch nie den Registan in Samarkand betrachten würden oder mit dem Postschiff zum Nordkap kämen. In der rumänischen Provinz bist du einmal mitsamt deinem Koffer aus einem fahrenden Zug gesprungen und gestürzt. Ich war vor dir abgesprungen, trotzdem kam es mir immer so vor, ich würde mit den anderen Leuten oben am Fenster auf dich herunterlachen. Die trügerische Erinnerung hat mich mein Leben lang entsetzt.
Wenn wir uns jetzt küssten, war es, wie wenn man über ein Foto in einem alten Album streicht. Obgleich schon im Erwachsenenalter, brach die Kleine in Tränen aus, als sie uns einmal so sah. Das machte mich traurig, zugleich dachte ich, dass ich keine Zeit mehr hatte zum Traurigsein. Ich war noch nicht außergewöhnlich matt, aber ich wusste, es konnte schnell gehen. Plötzlich fällt man auf die Couch und ergibt sich.
Wie zurückgekehrt nach einer strapaziösen Reise saßen wir glücklich-erschöpft in der Wohnung, die wir noch immer mieteten.
Wir haben gewonnen, sagten wir und füllten die Gläser. Wir sind übrig geblieben. Wir wunderten uns nicht. Wir lachten, behutsam wegen der Rippen, meiner und deiner.
Es regnet, aber das stört nicht. Der Regen spült den Staub aus dem Champagnerglas in deiner Hand.
Immer regnet es, wenn etwas beginnt. Irgendwann wirst du die Tür aufreißen, und alle werden die Köpfe nach dir wenden. Ich werde die Bücher vom Bett schieben, damit wir uns lieben können. Der Hund wird das Käsestück ausspeien und gleichgültig davontrotten. Du wirst aus einem fahrenden Zug springen. Mich oft umarmen, seitdem ich dir gesagt habe, dass ein Kind in mir ist. Folgt die träge, gefahrenvolle Fahrt durch den Dschungel der Kleinkindjahre, Durchfall, Hautausschlag, Läuse und Fieber, die Unbill der Zivilisation. In erschöpften Momenten erste leise Gedanken an Trennung, aufgefangen von Auszeiten, in denen wir unser früheres Leben zu zweit nachspielen. Später dann die Friedfertigkeit des beschlossenen Abschieds, das Weggehen auf leisen Sohlen. Wir, die wir zurückkommen. Die wir die Gläser füllen, jeder das des anderen. Der Sohn wird bei unserem Anblick freundlich lächeln, die Kleine uns Vorwürfe machen wegen unserer Verantwortungslosigkeit. Was willst du, wirst du sagen, wir sind noch hier. Schließlich die Tollheiten des Alters. Und während all dessen schon der leise, unabwendbare Verfall, Zähne, Hüfte, Herz, Therapien und Operationen, anfangs noch ironisch kommentiert, zuweilen schon im Verborgenen gehalten, später dann nur noch verschwiegen. Das schleppende, süße Verschweigen und Schweigen.
Genauso wird es sein, sagst du dann, das ganz und gar erfüllte Leben.